Hier drückt der Schuh

Von Creed Kuenzle Herrliberg

 

Kritische Gedanken eines engagierten Liberalen

 

Ideologische Verwüstung 

 

Die Demokratie beruht darauf, dass die Bürger bei ihren Entscheiden aus eigener Erfahrung schöpfen. Wünschbarkeiten und Sachzwänge sind gegeneinander abzuwägen. Ihr Weltbild bestimmt dieses politische Verhalten in hohem Masse.

Darum ist Medienpolitik so wichtig geworden. Das Bild der Realität wird zunehmend nicht mehr durch unmittelbare Wahrnehmung bestimmt. Es kommt aus zweiter Hand. Das hat zwei wesentliche Konsequenzen: Erstens sind die Meldungen, die beim Bürger eintreffen, nur eine Auswahl aus dem Ticker-Tape, und was auf den Ticker-Tape gelangt, ist bereits der emotionale Bodensatz der wirklichen Geschehnisse; zweitens wird in den meisten Fällen eine individuelle Wertung der Geschehnisse gratis mitgeliefert.

 

Kein Zweifel: Die enorme Menge anfallender Information zwingt jeden Medienmitarbeiter zur Selektion. Selektion ist aber bereits Wertung. Ohne Wertung kommt der Programmschaffende nicht aus. Es ist deshalb nicht gleichgültig, wer diese Wertung vornimmt.

 

Meinungsbildung

 

Fernsehjournalisten stehen unter dem Zwang, ihr Produkt zu verkaufen. Zum Verkauf eignen sich aber konservative Argumente weniger als progressive. Theorie ist medienwirksamer als Bewahren, Kritik kommt besser an als verantwortliches Handeln. Voraussetzung der Medienwirksamkeit ist, auf dem Klavier der Emotionen zu spielen. Das Aufsehenerregende steht im Vordergrund, nicht das Wesentliche. Der Informationsgehalt einer Sendung wird bestimmt durch ihren Seltenheitswert. Was beim Publikum «ankommt», wird weitgehend durch die ideologische Mode bestimmt, welche wiederum durch die Medien verbreitet und hochgespielt wird.

 

Die veröffentlichte Meinung - heute weitgehend Katastrophenstimmung - wird aber grösstenteils von Leuten gemacht, die wenig von der Realität selbst, aber viel mehr von ihrer literarischen Abbildung verstehen. Das bezeichnet den Ideologen. Er geht aus von unbestreitbaren Unzulänglichkeiten und verspricht das Paradies - allerdings ohne zu beweisen, dass der gepriesene Wertewandel tatsächlich in eine bessere Zukunft führt.

 

Die Schweigespirale Die meisten Menschen haben Angst, sich durch ihre Meinung von anderen Menschen zu unterscheiden. Jeder Werbefachmann weiss, dass es opinion leaders gibt - auf sie schielt der Mensch, bevor er sich eine eigene Meinung bildet. Zum Teil ist das auch Resignation gegenüber den wenigen, die so selbstbewusst auftreten. Damit verändert sich die Meinungsumwelt - wohl auch in den Redaktionsstuben: Die Einflussnahme geht bis zur genauen Wortwahl oder zu der Art, wie ein bestimmter Ton getroffen wird. Man wiederholt, man lässt weg oder setzt gewisse Dinge als angeblich selbstverständlich voraus. Meinungsterror geht unter die Haut, er ist nicht nur totalitären Staaten vorbehalten.

 

Zwischen Meinungsmachern und der «Schweigenden Mehrheit» entstehen Spannungen, die nur mit Hilfe der Massenmedien beschrieben und kritisiert werden könnten. Das liegt aber nicht in ihrem Interesse: Wer sie kritisiert, wird zur Diskussion nicht mehr zugelassen und in Abwesenheit verurteilt. Es gibt praktisch kein Gegengewicht gegen das Fernsehmonopol der Meinungsbildung - fälschlicherweise oft mit Pressefreiheit in einen Topf geworfen. Die verfassungsmässigen Kontroblmechanismen greifen zuwenig. Die Kontrollfunktion kommt im wesentlichen Personen zu, die entweder der <politischen» oder der <kulturellen> Klasse angehören. Sie hängen selbst in extremem Masse von den Medien ab. So basiert die «Pressefreiheit» auf der unkontrollierbaren Tätigkeit einiger weniger. Nie hat sich ein Programmschaffender der Wiederwahl durch Volks-entscheid zu stellen. Er muss deshalb die «schweigende Mehrheit» nicht berücksichtigen. Man verlangt von ihm keine bestimmte Ausbildung, keinen bestimmten Abschluss.

 

Personalpolitik

 

Die Berufswahl des angehenden «Journalisten» ist in vielen Fällen die Folge einer Negativ-Entscheidung. Er will einfach nicht im Staat oder in der Wirtschaft tätig werden. Er will sich in seinem ideologischen Höhenflug nicht die Hände in der Praxis schmutzig machen. Es entsteht, vor allem rund um die Sendeanstalten, eine negativ selektierte Gruppe, die sich zudem aus sich selber rekrutiert. Die Produktionsequipen werden immer homogener und einseitiger. Die für einen freien Staat lebenswichtige Pluralität des Meinungsspektrums geht verloren. Die wäre aber das unabdingbare Gegengewicht gegen den notwendigerweise subjektiven Ausdruck des einzelnen Medienschaffenden.

 

Alle Medien sind nun einmal nonkonformistisch. Zukunft reizt sie mehr als Gegenwart. Subjektivität, Emotionen und Stimulation gehören dazu wie das Ei zum Huhn. Das ist für die Freiheit des Programmschaffenden unerlässlich. Wenn diese aber nur in einer ideologischen Richtung wahrgenommen wird, droht ideologische Verwüstung. Deshalb ist es so wichtig, wer an die Spitze unserer nationalen Fernsehanstalten berufen wird. Das Team freier Mitarbeiter muss verantwortungsbewusst geführt werden. Es würde auch nichts schaden, wenn dem Schweizer Fernsehen im freien Wettbewerb Konkurrenz erwüchse. Was aber vor allem not tut, ist eine bessere Ausbildung und später die Auswahl der Programmschaffenden. Hier müsste die politische Einflussnahme einsetzen. Hier spielt sich alles ab.

  

io Management Zeitschrift 56 (1987) Nr.5 © Mit freundlicher Genehmigung

 

zurück zu Ohne TV